Rede von Frau Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

Anlässlich der Verleihung des Afrika-Preises an Waris Dirie

Am 14.01.2000 in Trossingen

1.                Begrüßung

Sehr geehrte Frau Dirie, Herr Präsident, meine Damen und Herren,

der Einladung zur Verleihung des Afrika-Preises an die UN-Sonderbotschafterin für Menschenrechte Waris Dirie bin ich besonders gerne gefolgt.

Mit Ihnen, Waris Dirie, ehrt die Afrika-Stiftung eine starke afrikanische Frau, eine Betroffene, die ihren Erfolg und ihr Charisma dazu nutzt, entschieden gegen eine schreckliche Menschenrechtsverletzung - die weibliche Genitalverstümmelung einzutreten.

Mit Ihrem Buch „Wüstenblume“ ist es Ihnen gelungen, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln. Es ist Ihnen gelungen, vielen Menschen zu vermitteln, was weibliche Genitalverstümmelung bedeutet – weit mehr als dieser Begriff oder die Umschreibung „Beschneidung“ ausdrücken kann: grausame Folter, Unterdrückung und Schmerzen, für viele Mädchen Verlust von Vertrauen und Selbstbewusstsein, für alle Todesangst. Und es ist Ihnen gelungen, die eigenen Qualen nicht zu verdrängen, sie zu vergraben, sondern aus all dem Schmerz und der Angst, die auch in erwachsenen Frauen noch stecken, Kraft und Mut zu schöpfen. Sie haben die Stimme erhoben für die Millionen stummer Mädchen und Frauen, damit nicht weitere Generationen ein Leben voller Schmerz führen müssen.

2. Frauenrechte

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Universalität dieser Rechte und Werte sollte zu Beginn des 3. Jahrtausends in der globalen Gesellschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch werden leider immer noch Frauenrechte in unvorstellbarem Ausmaß verletzt. Täglich werden 6000 Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind insgesamt 130 Mio. Frauen Opfer dieses grausamen und lebensgefährlichen Eingriffs. In manchen Ländern sind mehr als 80 % der Frauen betroffen. Diese Frauen tragen körperliche und seelische Wunden davon, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten. Durch die Verletzung kommt es häufig zu Komplikationen bei Geburten.

In Ihrem Buch ist es Ihnen gelungen, die schreckliche Verletzung von Menschenrecht und -würde nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären – indem Sie Ihre Geschichte erzählt haben. Dadurch wird der durchaus menschliche Hintergrund deutlich, die Beweggründe Ihrer Mutter, die Ängste, die Unwissenheit und der strenge Rahmen der Tradition.

Kultur und Tradition dürfen jedoch nicht als Vorwand genommen werden um die Mißachtung von Menschenrechten zu rechtfertigen – auch das zeigt Ihr Buch. Auf der Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien haben alle Staaten die Menschenrechte als universell und nicht kulturspezifisch anerkannt.

Da es sich bei den verschiedenen unterschiedlichen Beschneidungspraktiken um ein tief verwurzeltes Ritual handelt, reicht es aber nicht aus, die Verstümmelung aus der Welt schaffen zu wollen. Wichtiger ist, dass sich das Rollenbild, der Status der Frau in der jeweiligen Gesellschaft verändert.

Durchgreifende Änderungen können nur mit der Eröffnung neuer Chancen für die Frauen, mit einem neuen Rollenverständnis, erreicht werden. Wenn Frauen Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen haben, wenn es für sie wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten gibt, dann können Frauen Selbstvertrauen entwickeln, sich von einschränkenden, überkommenen Rollenfestlegungen befreien und selbst über ihren Körper und ihr Leben bestimmen.

Was kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen?

Grundsatz unserer Arbeit ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann zu stärken. Damit beginnen wir in jedem unserer Projekte, indem Männer und Frauen gleichberechtigt an wichtigen Projektentscheidungen mitwirken. So wird den Bedürfnissen beider Geschlechter Rechnung getragen und das traditionelle Rollenverständnis hinterfragt. Ziel ist es, die Rolle der Frauen in der Gesellschaft zu stärken. Ihre Stärkung, ihr Empowerment ist der Schlüssel zu mehr Entwicklung und zu gleichberechtigter Teilhabe an Prozess und Erfolgen der Entwicklung durch die Frauen.

Wir achten nicht nur auf die Beteiligung der Frauen an allen Vorhaben, wir finanzieren auch spezielle Maßnahmen, deren Ziel es ist, Frauen über ihre Rechte aufzuklären. Veränderungen für Frauen haben Auswirkungen auf Männer, auf das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Daher sind Frauen und Männer gleichermaßen aufgerufen, die Menschenrechte für beide Geschlechter zur Geltung zu bringen.

Ihnen, Waris Dirie, kann ich nur zustimmen, wenn Sie sagen, dass die Frauen das Rückgrat Afrikas sind und die meiste Arbeit verrichten. Jeder Entwicklungsprozess ist auf das Potenzial und den Einsatz von Frauen angewiesen - sowohl in den sogenannten Entwicklungsländern - wie auch bei uns. Ich kann Ihnen darin nur beipflichten, wenn Sie die Frage aufwerfen, wieviel mehr die Frauen für die Entwicklung ihres Landes erreichen könnten, wenn man sie als Kinder unversehrt ließe und ihnen nicht für den Rest ihres Lebens bildlich gesprochen „das Rückgrat brechen“ würde.

3. Aktivitäten gegen weibliche Genitalverstümmelung

Was tut nun das BMZ konkret gegen die weibliche Genitalverstümmelung?

Es ist unsere Pflicht, unser Möglichstes zu tun, dieser gravierenden Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Frauen Einhalt zu bieten. Dabei maßen wir uns nicht an, den Frauen vorschreiben zu wollen, wo und wie sie tätig werden müssen. Aber dort, wo es einheimische Aktivitäten gibt, und das ist praktisch in allen betroffenen  Partnerländern der Fall, setzen wir an und stärken das lokale Know-how. Gezielte Informations- und Bildungskampagnen sowie die Mobilisierung von Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen sind wesentliche Bestandteile dieser Menschenrechtspolitik.

Ø      Über UNICEF fördern wir seit einiger Zeit ein Präventionsprogramm in Ägypten, das verschiedene Ministerien und Frauenorganisationen bei ihren Aufklärungsaufgaben unterstützt.

Ø      Bei den Regierungsverhandlungen mit mehreren afrikanischen Ländern wurde das Thema angesprochen und mit den Partnern erstaunlich offen diskutiert. Als Ergebnis dieser Kontakte wurde ein Projekt zur Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung in Auftrag gegeben. Projektprüfungen haben gemeinsam mit ersten vertrauensbildenden Maßnahmen bereits in Guinea, Burkina Faso und Mali stattgefunden. Wir haben besonders mit solchen Initiativen, Organisationen und Frauengruppen Kontakt aufgenommen, die schon seit längerer Zeit Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt haben. Diese Organisationen werden ihre Aufklärungs-, Bildungs- und Gesundheitskampagnen dank unserer Unterstützung verstärken und weiter ausbauen können.


Die notwendige Überzeugungsarbeit kann auf vielerlei Weise erfolgen: durch Theateraufführungen, kulturelle Veranstaltungen, durch Entwicklung neuer Riten für den Übergang vom Mädchen zur Frau, durch Bildungsveranstaltungen. Fortbildung des Gesundheitspersonals ist ebenso wichtig wie die geeignete Ansprache der Meinungsführer und Meinungsführerinnen. Religiöse Autoritäten, Lehrerinnen und Lehrer, Dorfoberhäupter und Beschneiderinnen - sie alle müssen für unser gemeinsames Ziel gewonnen werden.

Das Programm soll nach und nach auf weitere Länder ausgedehnt werden. Die Ergebnisse und Erfahrungen unserer Arbeit sollen auch anderen Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, durch regionalen Austausch zur Verfügung gestellt werden.

Ø      Auch in Projekten mit anderer Zielsetzung, zum Beispiel in Vorhaben im Gesundheits- und Bildungsbereich, wird die Problematik aufgegriffen und Aufklärung betrieben. Dies kann z. B. dadurch erfolgen, dass das Thema in Informationen zur Familienplanung und in die Gestaltung des Schulunterrichts einbezogen wird. Wichtig ist, dass wir Frauen und Männer, Mädchen und Jungen ansprechen. Erst wenn eine Mutter weiß, dass auch ein unverstümmeltes Mädchen eine begehrte Braut ist, kann sie mit gutem Gewissen mit der Tradition brechen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung braucht eine Lobby. Nicht nur in den betroffenen Entwicklungsländern oder auf internationaler Ebene sondern auch in Deutschland, wo 20.000 Frauen leben, denen diese Verletzung widerfahren ist. Eine gezielte Bildungsarbeit ist wichtig, damit auch die breite Öffentlichkeit die Problematik erkennt und sowohl unsere Arbeit als auch die der Nichtregierungsorganisationen mitträgt.  Das BMZ hat im letzten Jahr eine Publikation von „Terre des Femmes“ zur Genitalverstümmelung gefördert. Auch in unserer eigenen Broschüre „Frauen bewegen die Welt“ sind die Menschenrechte für Frauen und die Bekämpfung der Genitalverstümmelung ein Schwerpunkt. Damit wollen wir einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Sie können diese Broschüre heute hier erhalten.

Darüber hinaus engagiere ich mich für die rechtliche Verfolgung des Rituals, in Deutschland ist weibliche Genitalverstümmelung als ein Fall von Körperverletzung strafbar – und auch die Beihilfe durch Eltern oder Verwandte. Zudem muss es aus meiner Sicht jedoch auch möglich sein, Mädchen und Frauen vor dieser Menschenrechtsverletzung zu schützen, wenn sie ihnen in ihrer Heimat angetan werden soll. Deutschland sollte deshalb aus meiner Sicht im Asylverfahren frauenspezifische Verfolgungsgründe besser als bisher berücksichtigen.

4. Erfolge unserer Arbeit

Erfolge der Aufklärungsarbeit lokaler Initiativen können wir im Senegal beobachten. Dort gibt es bereits ganze Dörfer, die der weiblichen Genitalverstümmelung eine Absage erteilen.

Umdenken hat auch bei afrikanischen Regierungen eingesetzt:  Burkina Faso und Senegal haben Gesetze erlassen, die die weibliche Genitalverstümmelung verbieten. Es hat sich jedoch gezeigt, dass gesetzliche Verbote  - ohne flankierende Maßnahmen  - weitgehend wirkungslos bleiben können. Die Betroffenen können dann nicht mehr legal ärztlich versorgt werden können – und das führt sogar noch zu einer Verschlimmerung ihrer Situation.

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch wenn die schwerwiegende Menschenrechtsverletzung weibliche Genitalverstümmlung in 28 afrikanischen Staaten noch weit verbreitet ist und Afrika in den Medien überwiegend als „Krisenkontinent“ dargestellt wird, so möchte ich ins Bewußtsein rufen, dass Afrika in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat. Ich will hier nur einige nennen:

§         die Überwindung des Apartheidregimes in Südafrika,

§         die Beendigung jahrelanger Konflikte in Mosambik,

§         Demokratisierungsprozesse in vielen Staaten und -

§         wo eine entwicklungsorientierte Politik verfolgt wird, ist auch ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen.

§         Und hinsichtlich weiblicher Genitalverstümmlung? Immerhin haben auch 15 Staaten Gesetze gegen die Verstümmlung erlassen. Deren Durchsetzung muss nun intensiv vorangetrieben werden.

Wer sich näher mit Afrika und seinen Menschen beschäftigt hat, weiß was die Menschen in Afrika leisten können, welche Kraft und Begeisterungsfähigkeit in ihnen steckt und wie sie selbst unter schwierigen Bedingungen immer wieder einen Weg suchen und finden. Ich habe mich im letzten Jahr auf einer Reise nach Mali und Uganda selbst davon überzeugen können, dass es vielversprechende Entwicklungen gibt, die unsere Anerkennung und volle Unterstützung verdienen. Deshalb sind mir Ihre Worte am Ende Ihres Buch, Frau Dirie auch wichtig. Sie schreiben dort, dass Sie stolz sind auf Ihr Land und glücklich, Ihre Kindheit in Afrika verbracht zu haben.

5. Anmerkungen zu Somalia

Wie ich erfahren habe, sind Sie, Frau Dirie, gerade von einer Reise aus ihrem Heimatland Somalia zurückgekehrt.  Ein Land, das immer wieder von blutigen Clankonflikten heimgesucht wird und in dem seit 9 Jahren keine zentrale staatliche Ordnung mehr besteht. Noch ist es niemandem – auch nicht den Vereinten Nationen oder den verschiedenen Friedenskonferenzen - gelungen, das Land zu befrieden und den Wiederaufbau gesamtstaatlicher Institutionen in die Wege zu leiten. Daher ist es uns zur Zeit auch noch nicht möglich, die Entwicklungszusammenarbeit mit Somalia wieder aufzunehmen, aber wir leisten finanzielle Beiträge zu den Friedensbemühungen des Sekretariats der Inter-Governmental Authority on Development (IGAD) mit Sitz in Dschibuti.

Große Hoffnungen setzen wir auf die jüngste Friedensinitiative des Präsidenten von Dschibuti. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Bundesregierung unterstützen diese Friedensinitiative. Wir wünschen, dass es ihr gelingen wird, die Konflikte zu überwinden und für dauerhaften Frieden und Wiederaufbau zu sorgen.

6. Schluss

Liebe Waris Dirie, sehr geehrte Frau UN-Sonderbotschafterin: Ich freue mich, dass der Afrika-Preis der Afrika-Stiftung nun zum zweiten Mal an eine Frau verliehen wird. Ich wünsche Ihnen für „Ihre Mission“, für Ihre Berufung, für Ihr unerschrockenes Eintreten gegen die weibliche Genitalverstümmelung viel Erfolg!

Den Frauen Afrikas gelten unsere allerbesten Wünsche zu Beginn dieses Jahres, mit dem ein friedvolles Jahrhundert mit mehr Gerechtigkeit für uns alle beginnen möge!